Mein ABC der Genesungsbegleitung N, wie Nein sagen

Nein, tut mir leid, das schaffe ich gerade nicht! Ein Satz der einem depressiven Menschen so schwer fällt, wie sonst gar nichts!!! Für einen nicht depressiv Betroffenen ist das schwer zu verstehen. Was soll denn schon dabei sein, einfach nein zu sagen, wenn es doch nicht geht!

Für einen Betroffenen hängen an dem NEIN viele Sachen. Der Betroffene hat kaum bis gar kein Selbstbewusstsein, fühlt sich überfordert und vor allen Dingen allein. Denjenigen, denen er/sie bis hier hin keine Bitte abschlagen kann bezeichnet er/sie im Stillen als Freund. Er/Sie bewertet nicht, ob da etwas zurückkommt. Es geht darum nicht allein dazustehen! Es geht darum, dass Du nicht noch mehr „Freunde verlierst“. Allein der Satz: „Du, ich bräuchte heut ganz dringend… du bist doch so gut, oder?“, löst in einem Betroffenen Panik aus! Panik, die er/sie nie nach Außen zeigen würden. Natürlich sagt ein Betroffener in der Regel darauf nicht nein, denn man will ja gut sein. Doch wenn dann der nächste daherkommt und der übernächste weiß man schon, dass der zurechtgelegte Tagesplan, der ja eigentlich sowieso nur auf das Nötigste abgestimmt ist, gerade den Bach runtergeht.

Die Strategie dagegen? NEIN sagen! Das Problem: Im Hinterkopf weißt du, dass du NEIN sagen solltest – und tust es trotzdem nicht. Warum? Die Konsequenz wäre, dass derjenige, der etwas von mir möchte, dann sauer oder mir böse sein könnte. Dann habe ich noch weniger Freunde. Also muss es irgendwie gehen. Irgendwie!!!

Da gibt es das Helfersyndrom. Da ist das Gefühl, jemandem helfen zu können und auch noch das Bedürfnis, gebraucht zu werden, unentbehrlich zu sein. Danach streben sowieso alle Menschen, egal ob betroffen oder nicht! Menschen streben einfach danach. Aber achten Wir dabei auch auf uns selbst? Auch ich werde von Ihnen gebraucht. Wenn jemand mit einem Hilfegesuch zu mir kommt, und ich lehne es ab, kann das verletzend oder egoistisch aufgenommen werden. An dieser Stelle müsste ich eigentlich dem anderen klar machen, warum ich ihm momentan nicht helfen kann. Doch ich kann nicht. Ich habe Angst! Bereits Volksschulkinder machen die Erfahrung wie es ist, nur gemocht zu werden, wenn sie den anderen nützlich sind. Lässt man nicht mehr abschreiben, ist man plötzlich nicht mehr befreundet. Das setzt sich in unserem Leben oft fort. Selbst zu Hause. Mama und Papa sagen nein, meist zu oft, dabei wollte ich doch nur Anerkennung. Sie lassen mich nicht einmal ausreden. Ich fange nur an zu reden und schon sagen sie nein. Obwohl sie nicht wissen, was ich eigentlich wollte. Fühlt sich schrecklich an. Woher ich das kenne? Ich habe es daheim erfahren. Jetzt nicht! Ist das Gleiche wie nein. Denn später hatten sie es sowieso vergessen. Ich weiß es auch daher, da ich es mit meinen Kinder genauso gemacht habe. Heute schäme ich mich dafür. Ich möchte es auch gar nicht entschuldigen. Es ist nicht zu entschuldigen! Was macht es mit dem Kind. Es fühlt sich vernachlässigt, allein gelassen. Es tut weh keine Anerkennung zu bekommen, keine Aufmerksamkeit – dann fühlst Du dich allein!

Genau davor hat ein Betroffener Angst, wenn er Nein sagen würde. Allein sein, den anderen enttäuschen, keine Anerkennung, kein Lob…..! Ich weiß, wie es sich anfühlt, darum sage ich Ja oder selbstverständlich, obwohl ich bereits zu diesem Zeitpunkt weiß, dass es mir eigentlich unmöglich ist. Es sei denn, ich reiße mich noch mehr zusammen, opfere noch mehr von meiner Kraft, die ich ja eigentlich schon nicht mehr habe. Ich will schließlich nicht, dass es dem anderen nicht gut geht! So wie mir! Ein schrecklicher Kreislauf. Die anderen wissen und merken nichts davon oder ist es Ihnen einfach egal?

Wenn jemand nicht Nein sagen kann, dann hat das oft tiefere psychologische Gründe. Zu den häufigsten Ursachen gehören Ängste. Aber auch andere Gründe, wie zum Beispiel… Wer nicht Nein sagen kann, fühlt sich geschmeichelt. Wir sagen nicht nein, um nicht als schwach dazustehen. Wir sagen nicht nein, um anderen gegenüber nicht herzlos zu wirken. Ein Nein kann Konsequenzen haben. Wir sagen nicht nein, weil wir gebraucht werden wollen. Wir sagen nein, weil wir nicht als Versager dastehen wollen. Wir sagen nicht nein, wenn es um eine Party geht, weil wir nicht als Prüde dastehen wollen. Ich werde zum Teamplayer gezwungen, obwohl ich lieber allein bin. Ich neige zum Perfektionismus, weil ich Angst habe, dass andere mitbekommen könnten, dass ich eigentlich nicht mehr kann.

Ich habe für mich keine Lösung! Ich will eigentlich nein sagen, weil ich keine Kraft mehr habe, noch mehr zu machen oder noch mehr Verantwortung zu übernehmen. Aber wenn ich Nein sage, verliere ich auch meine letzten Kontakte. Dann ist mein Partner, sind meine Freunde weg oder wenden sich von mir ab. Dann bin ich ganz allein! Das sind die Ängste die Betroffene haben. Deswegen sagen sie nicht nein!

Ich habe irgendwann gelernt nein zu sagen und war sehr erstaunt darüber, dass die wirklichen Freunde Verständnis dafür hatten. Ich war erstaunt darüber, dass Freunde und Bekannte mir sagten: „Warum hast Du denn nicht eher was gesagt?“. Diese Frage kann ich beantworten: aus Scham und Angst!

Es hat sich mit jedem Nein gezeigt, wer ein wirklicher Freund ist und wer mich nur ausgenutzt hat. Von denen „sogenannten (falschen) Freunden“ ist keiner mehr da. Es sind jetzt viel weniger Freunde da, echte Freunde. Freunde, auf die ich mich und die sich auf mich verlassen können. Ich habe gelernt, dass nein sagen nicht schlimm ist, sondern wichtig – wichtig für mein Selbstwertgefühl.

Diejenigen, die mich nicht verstehen und mein Nein nicht akzeptieren, haben mich nicht verdient. Es lohnt sich das Nein-Sagen zu lernen. Für Dich selbst!