Hurra, wir sind 1 Jahr alt geworden – Erwachsen werden ist ein echter Lernprozess

Heute gibt es unseren Verein Arbeitsgruppe Depression e.V. ein Jahr. Ein Jahr das viel für uns bereit gehalten hat. Gutes und nicht so Gutes!Wir wollen helfen, helfen auf der Grundlage unserer Erfahrungen im Umgang mit Krisen. Wir mussten lernen, dass auch unter Profis oder sogenannten Profis unsere Arbeit bzw. unser Anliegen nicht verstanden wurde. Oder liegt es doch daran, dass Betroffenen nicht zugetraut wird anderen ebenfalls Betroffenen zu helfen? Ja, leider mussten wir auch diese Erfahrung machen und dass bei Menschen/Profis aus der Pflege, die eigentlich verstehen müssten, wie wichtig es ist Perspektiven für Menschen in einer Krise aufzuzeigen. Wir hatten anfänglich das Gefühl, dass diese Profis daran interessiert wären, wie wir arbeiten. Dass es sie interessiert, was wir aus unseren Erfahrungen heraus für andere Betroffene tun können, um Wege aus der Krise aufzuzeigen. Wir mussten lernen, dass es bei einigen dieser Profis gar nicht um unsere Meinung ging, sondern darum Ihnen bei ihren Aufgaben zu helfen. Wir haben Tools angewendet, die sofort in Frage gestellt wurden. Nicht als das Tool im Wesentlichen, sondern, wie wir diese Tools anwenden. Wir sprechen Klartext mit Betroffenen, weil uns dieser Klartext geholfen hat unsere Krisen zu überwinden. Es ist auch verständlich, dass es nicht jedem Betroffenen gefällt, zu erkennen, wie er sich verhalten sollte, um eine evtl. Veränderung herbeizuführen. Das hat uns auch manchmal weh getan.

Ich persönlich habe am Anfang alle Aussagen der Psychologin angezweifelt. Woher will sie wissen, wie ich mich fühle – dachte ich. Kann sie gar nicht – dachte ich. Sie hat das doch nicht durchgemacht. Das was wir vermittelt bekommen haben, übrigens in einer einjährigen Ausbildung, basiert auf der Überzeugung, dass Menschen, die psychische Krisen durchlebt haben, diese persönlichen Erfahrungen nutzen können, um andere Menschen in ähnlichen Situationen zu verstehen und zu unterstützen. Auf dieser Grundlage wurde ein europaweit gültiges Ausbildungsprogramm (Curriculum) entwickelt. Die Teilnehmenden setzen sich intensiv mit relevanten Themen auseinander. Die Teilnehmenden formen aus ihren individuellen Erfahrungen, dem „Ich-Wissen“, durch kontinuierlichen Austausch und Reflexion in der Gruppe eine gemeinsame Sicht, das „Wir-Wissen“, die durch Vielfalt einerseits und Konsens andererseits geprägt ist. Während der Ausbildung werden die Teilnehmenden zu Experten ihrer eignen Erfahrung und zu kompetenten Akteuren innerhalb des psychiatrischen Systems. Nicht zuletzt lernen die Teilnehmenden ihre persönlichen Stärken und Ressourcen besser kennen und zu nutzen.

Unsere Erfahrungen, gepaart mit denen anderer Genesungsbegleiter geben uns die Grundlage in einer sehr direkten Art mit Betroffenen zu reden und Wege zu finden. Das funktioniert nur dann, wenn der Betroffene es wirklich will. Es will, das sich etwas ändert. Will er das nicht, werden sehr schnell Ausreden gefunden, um sich seinen Problemen nicht zu stellen zu müssen. Sie nehmen auf ihrem Weg der bewussten Zerstörung auch in Kauf, dass Vorhaben anderer Betroffener einen neuen Weg zu gehen mit zu zerstören. Hauptsache Sie müssen sich den unbequemen Sachen nicht mehr stellen. Ihre Entscheidung, aber auch eine Entscheidung die sie nicht weiterbringen wird. Wenn dann aber Profis diese Gelegenheit nutzen, um aus Gründen der Ruhe oder vielleicht auch der Unverständlichkeit unserer Arbeit heraus uns in Frage zu stellen, fragen wir uns, um was es ihnen eigentlich geht. Wir wissen aus eigener Erfahrung, dass es unbequem war sich seinen Fehlern zustellen.

Nur so haben wir einen Weg aus unserer Krise gefunden. Solange aber Profis glauben, dass unser Weg ihren Schützlingen nicht helfen kann, weil diejenigen die das nicht wollen sich beschweren und sogar nicht davor zurückschrecken uns zu deformieren, wird sich in Leben dieser Betroffenen nichts ändern. Denn Veränderungen tun weh, vor allen Dingen, wenn man einen Spiegel vorgehalten bekommt. Soweit zu den nicht so guten Sachen in unserem ersten Jahr.Nun zu dem Guten, die Sachen auf die wir verdammt stolz sind.Wir haben insgesamt 6 Selbsthilfegruppen in 3 verschiedenen Orten mit fast 30 Hilfesuchenden geführt. Einige von den Betroffenen haben auch die Möglichkeit der Einzelbegleitung genutzt. Wir haben in Waltershausen und Erfurt Betroffene unseres Partners dazu bewegen können zwei Para-Boccia-Mannschaften aufzubauen, die auch am Ligabetrieb in Thüringen teilnehmen möchten. Einige der Betroffenen möchten, durch unsere Arbeit inspiriert, Genesungsbegleiter werden. Das ist für uns eine große Anerkennung.

Die größte Anerkennung ist für uns jedoch zu sehen, wie Betroffene, Teilnehmer an unseren Selbsthilfegruppen vorwärtskommen. Zu sehen, wie sie sich entwickeln und den Weg aus ihrer Krise selbst bauen und gehen.Am 05.07.2021 haben wir unsere erste Begegnungstätte in Gotha eröffnet. Einige Betroffene aus unserer Begleitung führen eigene Veranstaltungen wie Stadtführungen durch. Komplett selbst organisiert. Wir haben inzwischen bei mehreren Psychiatern und Psychologen einen guten Stand. Mit der Tagesklinik des Helios Klinikum in Gotha streben wir eine Zusammenarbeit an. Wir arbeiten mit dem Landesverband Psychiatrie Erfahrener e.V. in Erfurt zusammen. Wir sind seit ein paar Tagen offizieller Kooperationspartner von EX-In Deutschland e.V. und bilden im November die ersten eigenen Genesungsbegleiter aus. Wir werden ab September in vielen Veranstaltungen auf unsere Arbeit aufmerksam machen. Wir werden ab September Praktikanten aufnehmen, die ebenfalls Genesungsbegleiter werden möchten. Wir sind der Überzeugung, dass unser Weg richtig ist, auch wenn es immer wieder Betroffene und Profis geben wird, die unseren Weg nicht verstehen wollen.

Wachsen tut manchmal weh, na und – wir werden wachsen. Es werden viele Jahre folgen!