Mein ABC der Genesungsbegleitung Teil 8 – H, wie Hilfe zur Selbsthilfe & Hilfe annehmen


Mit diesem Punkt spreche ich wohl die wunde Stelle im Genesungsprozess eines Betroffenen und auch auf der Seite der Angehörigen an. Gehen wir einmal rein theoretisch an das Thema ran. Wie definiert sich Hilfe rein vom Wort her? – Hilfe – das helfen, die Unterstützung, der Beistand –Wie oft verwenden wir in allen Gruppen, egal ob betroffen oder nicht, den Satz bzw. die Frage „Kannst Du mir bitte mal helfen?“. Wie einfach und ja sogar selbstverständlich diese Frage ist. Ist das wirklich so einfach? Ja klar, wenn es darum geht eine Sache kurz festzuhalten, bei einer Hausaufgabe, einem Rätsel oder im Haushalt. Ist das wirklich Hilfe oder bitten wir „nur“ um Unterstützung? Klar geht Ihr Blick jetzt auf die o.g. allgemeine Definition. Da steht doch Unterstützung, Beistand und helfen. Unterstützen, Beistand, helfen heißt einfach heruntergebrochen – „ich bin für Dich da“. Etwas, was wir Betroffenen oft schmerzlich vermissen. Bevor ich auf den Begriff der Hilfe in unserer Arbeit eingehen werde, möchte ich noch einmal nüchtern auf das Wort „Hilfe“ schauen. Die Aufzählung von Synonymen für das Wort „Hilfe“ lässt eigentlich schon die Grundlage unserer Arbeit erkennen, aber auch die Bedürfnisse von Betroffenen und Angehörigen.SynonymgruppeBeistand, Betreuung, Erleichterung, Hilfestellung, Kooperation, Rückendeckung, Unterstützung, Unterstützungsangebot, (jemandem) Stütze (sein), SynonymgruppeFörderung, Gunstbezeugung, Hilfe, Rückhalt, Stärkung, Unterstützung, Zutun, Schützenhilfe. SynonymgruppeAssistenz, Beihilfe, Hilfe, Mitarbeit, Mithilfe (bei), Unterstützung, Zuarbeit.


Wie vielfältig sich doch der Begriff „Hilfe“ darstellt. Was doch alles mit Hilfe in Verbindung gebracht wird. Und es klingt so selbstverständlich. Aber ist das in Bezug auf unsere Betroffenheit auch wirklich so selbstverständlich? NEIN!!! Stigmatisierung beherrscht das Drumherum um unsere Krankheit. In den Nachrichten hören und lesen wir immer wieder Aussagen wie: „Der Täter ist psychisch krank“, „Der Täter oder die Täterin sind psychisch labil“ und mein Lieblingssatz- „Nach hinreichender Untersuchung durch Staatsanwaltschaft und Polizei wurde der Täter, mit dem Verdacht einer psychischen Erkrankung in eine medizinische Einrichtung eingeliefert!“ Diese Stigmatisierung schiebt uns Betroffene in eine Schublade, in die wir nicht gehören. Wie sollen jetzt aber Freunde und Angehörige auf uns reagieren? „Psychisch kranke Menschen in unserer Familie? Unmöglich!“ Kennen Sie diese Aussage von Eltern, Geschwistern und Verwandten? Freunde, die auf einmal wegbeleiben.

Nur weil wir betroffen sind. Ich kenne das sehr gut. Auch aus dem eigenen Umfeld. Wie will man dann die Hürde überwinden um Hilfe zu bitten. Das scheint fast unmöglich, denn alle schieben mich weg wie einen Aussätzigen. Bis dahin, wo Sie wussten, dass ich psychisch krank bin, hieß es oft – „was ist nur mit Dir los? Reiß Dich zusammen! Mach mal Urlaub. Tu Dir mal was Gutes. Iss mal Schokolade!“ Einfach nur Sprüche? Nein, ich sehe diese Aussagen als Ausdruck der Unwissenheit, aber auch der Hilflosigkeit.Hilflosigkeit kann auch ein Ruf nach Hilfe sein. Nach „erkläre mir doch einmal, was mit Dir passiert“!
So einfach ist das nicht mit dem um Hilfe bitten. Das bedeutet ja für die meisten Menschen Schwäche einzugestehen. Aber genau das zeugt von Stärke. Zusagen, dass ich das Alles nicht verstehe und darum Hilfe benötige! Das gilt auch für Angehörige und Freunde von Bekannten. Längst ist die Genesungsbegleitung nicht nur für Betroffene da, sondern auch für Angehörige und Freunde. Wir Genesungsbegleiter sehen uns als „Dolmetscher“ der Betroffenen, der Hilfesuchenden. In erster Linie bieten wir Hilfe zur Selbsthilfe an. Wir sind keine Therapeuten, Psychologen oder medizinische Profis. Wir sind Profis aus Erfahrung. Was haben wir den anderen Hilfsangeboten voraus? Eben genau das, wir sprechen aus Erfahrung als Betroffener im Umgang mit der Krankheit, der Depression. Eine Sichtweise, die andere Hilfsorganisationen oder medizinische Einrichtungen nicht haben können. Ich stelle nicht die professionelle medizinische Betreuung in Frage. Ohne eine professionelle medizinische Begleitung ist eine Genesung selten möglich. Darum ist es immer wichtig, den ersten Ansprechpartner in der Schulmedizin oder bei Psychologen zu suchen. Wir sind eine wertvolle Ergänzung dieser Leistungen. Unsere Stärke ist das Erlebte. Darum geben wir Hilfe zur Selbsthilfe. Wir geben das weiter, mit dem andere Menschen, andere Genesungsbegleiter uns geholfen haben. Sie haben uns keine Heilmittel an die Hand gegeben, sie haben uns aufgezeigt, wie Sie gelernt haben mit dieser Krankheit umzugeben, mit dieser Krankheit zu leben. Also genau das, was Sie benötigen. Betroffene reden über Möglichkeiten mit dieser Krankheit zu leben.

Doch dazu ist es erforderlich Hilfe anzunehmen. Die wichtigste Grundlage dafür bilden zwei Punkte. Als erstes muss ich akzeptieren, dass ich krank bin und Hilfe benötige. Oft ist dies der schwerste Schritt. Wir Betroffene haben uns dem doch ergeben, dem „Nichts Wert zu sein“, der Hoffnungslosigkeit, der Hilflosigkeit. Wir klammern uns an unsere selbst aufgebaute Fassade, um dem Umfeld „vorzugaukeln“, dass das Alles nur ein momentaner Schwächezustand ist. Wir lächeln nach außen, obwohl es uns im Inneren zerreißt. Aber das würden wir niemals zugeben. Stattdessen versuchen wir mit überzogenen Leistungen, die uns eigentlich total überfordern, sogenannte Freunde und Bekannte zu beeindrucken, statt um Hilfe zu bitten. Wir müssen lernen NEIN zu sagen. Nicht weil wir nicht helfen wollen, sondern weil wir es nicht mehr können. Weil wir uns auf das konzentrieren müssen, was uns hilft, um aus dieser Krise zu kommen. Alles andere überfordert uns. Sie werden die Erfahrung machen, dass die meisten Außenstehenden sagen werden, dass es kein Problem ist. Menschen, die unser nein nicht akzeptieren, haben uns nicht verdient!

Doch wie ist das bei Angehörigen. Viele Angehörige verschließen sich davor, die Krankheit eines Familienmitgliedes anzuerkennen. Kann ich diese Menschen verurteilen. In der Regel nicht. Viele Angehörige fühlen sich hilflos aus Unwissenheit. Sie wollen nichts falsch machen, wollen uns nicht noch mehr belasten. Selbstverständlich hat niemand das Recht, einen anderen Menschen zu verurteilen, nur weil er es nicht weiß. Schauen wir doch einmal auf uns. Haben wir nicht auch oft Angst davor mit anderen über unsere Krankheit, unsere Sorgen zu reden? Wie viele Betroffene verstecken sich aus Unwissenheit und Angst. Sollten wir dieses Recht nicht auch unseren Angehörigen zu gestehen. Auch Sie benötigen Hilfe. Hilfe um unsere Krankheit und die damit verbunden Ängste zu verstehen. Auch Sie brauchen wie wir Hilfe zur Selbsthilfe!
Genau das ist es, was wir Genesungsbegleiter anbieten – Hilfe zur Selbsthilfe. Das kann in Form von Selbsthilfegruppen, Einzelbegleitung oder Gesprächen sein. Dabei sind auch Trialoge – Gespräche zwischen Betroffenen, den Angehörigen und uns Genesungsbegleiter. Verstehen und helfen.Annehmen müssen Sie die Hilfe zur Selbsthilfe!