Stigmatisierung und Toleranz – Teil 2 – Toleranz und alles wird gut?

Der Begriff Toleranz kommt vom lateinischen Wort „tolerare“. Man kann es mit „erdulden“ oder „ertragen“ übersetzen. Sich tolerant zu verhalten, bedeutet aber mehr als andere Menschen nur irgendwie zu ertragen. Tolerant sein heißt, jeden Einzelnen so zu akzeptieren, wie er ist. Gerade in der Psychiatrie stellt sich da die Frage, was und wie will man tolerieren. Ist es möglich, die Toleranz in der Psychiatrie überhaupt allein auszuüben? Oder ist es nur im Verbund mit anderen Tools möglich zu tolerieren? Was soll, was kann man tolerieren? Die Krankheit? Mein Handeln durch die Krankheit? In der Definition finden wir die Begriffe erdulden und ertragen. Das klingt für mich irgendwie wie raushalten oder naja, man kann es ja nicht ändern. Kann diese Toleranz wirklich hilfreich sein? Oder ist das irgendwie eher ein von sich wegschieben. Ich denke, dass man lieber gar nichts machen sollte.

Ist natürlich meine Meinung. Aber mich zu erdulden oder zu ertragen, heißt für mich nichts weiter als mich links liegen zu lassen. Das ist fast wie ignorieren und nur so tun, als wenn es jemanden interessiert. Wie sieht aber Toleranz im Zusammenhang mit Respekt aus. Ändert sich dadurch etwas? Respekt bedeutet unter anderem Achtung, Höflichkeit, Fairness, Anerkennung, Autorität, Toleranz, Vorsicht und Prestige. Also ist Toleranz ein Teil des Respektes. Dann frage ich mich aber, wie es zu diesem faden Beigeschmack kommt, wenn man nur die Definition des Begriffes Toleranz sieht. Erdulden, Ertragen. Gibt es diese Definitions-Toleranz überhaupt noch oder hat der Zahn der Zeit die Begrifflichkeit humaner gemacht? Heute heißt Toleranz im großen Sinne das ich bereit bin, neben mir, neben meiner Kultur auch anderen Kulturen einen Platz gebe. Dabei toleriere ich, unabhängig von meinen Vorstellungen, etwas anderes. Einfach so. Auch in der Medizin gibt es den begriff Toleranz. Unter Toleranz versteht man in der Medizin die Erhöhung der Empfindlichkeitsschwelle gegenüber medikamentösen Wirkstoffen oder Antigenen.Um zu meiner Überschrift zu kommen. Toleranz und alles wird gut?

Was kann durch Toleranz gut werden? Ich möchte das am Beispiel der Depression aufzeigen. Erst einmal ganz allgemein. Werden psychisch kranke Menschen in Deutschland toleriert? Die Toleranz gegenüber psychisch Kranken nimmt nach Einschätzung von Experten in Deutschland ab. Vor zehn Jahren seien etwa psychosomatisch Erkrankungen noch toleriert worden. Man konnte sich ein Vierteljahr Nichtfunktionieren leisten. Hat die persönliche Fassade heute einen Sprung, stößt dies innerhalb der Gesellschaft nicht mehr auf Toleranz. Auch der Betroffene selbst verzeiht sich oft einen Ausfall nicht. Die Erwartung der vollen Funktionsfähigkeit überlagert alles. Ein Fehler dürfe nicht passieren, menscheln sei unerwünscht. Die Anforderungen der modernen Gesellschaft unterschlagen, dass wir selbstverständlich krank werden können. Es gibt Situationen, in denen wir keine perfekte Figur abgeben können. Auch bei vollkommener psychischer Gesundheit kommt es zu einem plötzlichen Knick in der Biografie. Aus dieser Kränkungssituation, die nichts mit psychischer Krankheit zu tun habt, erholen sich manche der Betroffenen nicht mehr. Lebenskomplexe brechen zusammen.Eine Chefärztin einer Berliner Psychiatrie sagte sogar: „Zu beobachten sei auch, dass die Patienten nicht mit einer Bereitschaft zur Veränderung die Therapie suchten, sondern mit einer Vorwurfshaltung: Die Vorwürfe richteten sich gegen die Gesellschaft, die Eltern oder das soziale Umfeld. Die Selbstverantwortung werde dabei abgegeben.

Autsch. Also haben Betroffene keine Lust etwas zu ändern und jammern lieber? Harte Aussage. In unserer Tätigkeit erleben wir aber genau das. Es gibt immer wieder Betroffene, die sich lieber damit beschäftigen Andere für ihr Leiden verantwortlich zu machen, als Wege aus der Krise zu suchen und dann auch zu gehen. Ich glaube, dass sich schon viele Betroffene dabei erwischt haben, es auch so zu tun. Bei mir war das auch so. Bedeutet das jetzt das ich nicht wollte das sich etwas ändert? Oder war es meine Unwissenheit. Meine Hilflosigkeit die mich diesen scheinbar leichtern Weg zu gehen. Ich wollte keine Verantwortung für mein Scheitern übernehmen. Und in der Gruppe der „Jammerer“ fühlte ich mich zu Hause, geborgen. Zu mindestens für die Zeit die wir zusammen waren. Danach habe ich mich wieder selbst zerfleischt. Tut ja auch weh Fehler einzugestehen. Schuldig an seiner Situation zu sein.

Habe ich jetzt meine Situation einfach toleriert? Oder mich nur damit abgefunden? Kann man so ein Verhalten tolerieren? Lasse ich die Gesellschaft antworten, dann folgt ein klares Ja! Stigmatisierung ist das Resultat. Mit Respekt hat das nicht zu tun, denn Betroffene werden in eine Schublade geschoben. Das kommt einer gewissen Gleichgültigkeit sehr nahe. Toleranz und Respekt kann und sollte man nicht trennen. Betroffene benötigen Hilfe und wollen Hilfe. Einer kann es ausdrücken und Hilfe einfordern, der andere nicht! Hilfe benötigen Beide, denn viele Betroffene wissen nicht was mit Ihnen passiert. Es gibt Betroffene die lange Zeit, ja manchmal ihr ganzes Leben glauben, dass es „normal“ wäre, was mit Ihnen passiert. Auch sie brauchen Hilfe. Derzeit beginnt in der Gesellschaft ein Umdenken, doch es ist noch ein sehr langer Weg, bis ein psychisch erkrankter Mensch genauso toleriert und respektiert wird, wird jeder andere Erkrankte auch. Dafür ist es höchste Zeit, denn die Depression ist die zweithäufigste Volkskrankheit der Welt. An Depression sind derzeit in Deutschland 11,3% der Frauen und 5,1% der Männer erkrankt. Frauen leiden damit etwa doppelt so häufig an Depression wie Männer. Insgesamt sind im Laufe eines Jahres 8,2 % der deutschen Bevölkerung erkrankt. Das entspricht 5,3 Millionen Menschen allein in Deutschland. Das ist die Zahl derer, die sich in Behandlung begeben haben. Wie hoch ist die Dunkelziffer?