Mein ABC der Genesungsbegleitung
F – wie Familie & Freunde
In der Zeit der Depression ist der Rückhalt von Freunden und vor allen Dingen der Familie einer der wichtigsten Faktoren, um einen Ausweg aus einer Krise finden zu können. Leider ist das sehr oft nur ein Wunschgedanke, denn das ist immer noch in den wenigsten Fällen so. Inzwischen ist es so, dass sich nicht „nur“ die Betroffenen Hilfe von außen holen, sondern auch Angehörige. Doch leider ist auch das noch die Ausnahme. Wie kann dieser Fakt entstehen? Wie kann es sein, dass Angehörige, die Freundin oder der Freund der Betroffenen selbst zu Betroffenen werden bzw. selbst Hilfe suchen?
Eigentlich ein gutes Zeichen, denn das bedeutet auch, dass diese Person noch Interesse am Leben des Betroffenen hat. Wie bei Betroffenen selbst sind es jedoch auch die Hilfslosigkeit, Ratlosigkeit, ja sogar die Verzweiflung, die Hilfe rechtfertigen.
Doch dazu muss ich erst einmal auf die Betroffenen selbst zurückkommen.
Ich kenne von mir das Gefühl, meinen Problemen allein und hilflos gegenüberzustehen. Ich habe mich immer weiter vergraben. Vergraben in mich selbst. Ich habe dadurch mein Leben, meine Familie verloren. Das schlimmste Gefühl in mir war, dass ich mir sehr oft vorgenommen hatte, einen Neustart zu versuchen. Ich denke, fast jeder der betroffen ist oder war, hat das versucht. Von Außen betrachtet hat es so ausgesehen bzw. sieht es bei vielen noch so aus, als wenn wir uns aufgegeben hätten, wenn wir nicht kämpfen, es nicht einmal versuchen. Stimmt, würde ich genauso sehen, wenn ich nicht die Wahrheit kennen würde die dahintersteckt. „Liebe Angehörige, Freunde und Außenstehende – wir wollen, können aber nicht! Wir wollen da raus, wissen aber nicht wie!“
Grund dafür ist der Stress der uns fast lähmt. Was passiert im Körper bei Stress? Die moderne Medizin hat eine Antwort darauf.
Das Gehirn als Steuerzentrale sorgt in Sekundenbruchteilen dafür, dass Stresshormone ausgeschüttet werden: Der Körper wird mit Botenstoffen wie Adrenalin überflutet. Die Atemfrequenz erhöht sich, der Puls schnellt in die Höhe, die Muskulatur wird besser durchblutet. Der Organismus ist bereit zu reagieren. Das ist der Normalzustand.
Doch, wie ist das bei depressiv erkrankten Menschen, bei Menschen, die psychisch erkrankt sind? Langanhaltender Stress bringt unser Nervensystem aus dem Gleichgewicht und kann zu dauerhaften Veränderungen in unserer Hirnstruktur führen. Die Amygdala (regelt in der Hirnregion emotionale Wahrnehmungen und Äußerungen) wird größer, der langanhaltende Stress bringt unser neutrales Netz also aus dem Gleichgewicht. Die Amygdala wird größer, der Hippocampus (ist so etwas, wie die Schaltstation im Gehirn) und der präfrontale Kortex (dient höheren Funktionen wie z.B. Verarbeitung von Sinneswahrnehmungen, Sehen, Lesen, Hören, Sprechen, Planung und Ausführung von Willkürbewegungen, Bewusstsein, komplexem Denken, Persönlichkeit, etc.) schrumpfen.
Das wiederum ebnet den Weg für eine Reihe an körperlichen und psychischen Beschwerden. Wir wollen eigentlich, aber können nicht. Die Betroffenen klagen dann oft über Lähmungen in Armen oder Beinen oder sie haben ihren Tastsinn, das Sehvermögen oder das Gehör verloren bzw. ist dieses beeinträchtigt. Oft äußert es sich als eine neurotische Störung, bei der Symptome wie etwa der Verlust des Identitätsbewusstseins oder Erinnerungsstörungen auftreten.
Dies steigert zudem die Angstgefühle. Versagensängste, weil ich nicht verstanden wurde, mich aber auch anderseits nicht erklären konnte. Ich habe mich dann zurückgezogen. Ich habe mich verstrickt in Ausreden, Lügen, ich bin sogar dem Alkohol verfallen, habe mehrfach Jobs verloren. Hört sich an wie Ausreden erfinden?
Wenn Sie das glauben, gehören sie zu der Gruppe von Angehörigen und Freunden, die immer noch nichts verstanden haben oder es nicht verstehen wollen.
Im Gehirn manifestieren sich negative Glaubenssätze die unser Leben beherrschen. Glaubenssätze, die uns an uns selbst zweifeln lassen, die uns erdrücken. Glaubenssätze, die uns am Ende selbst glauben lassen, dass wir es nicht anders verdient haben, dass wir Versager sind.
Denken Sie wirklich, dass wir das so wollen? NEIN! Wir wissen nicht, wie wir allein da rauskommen sollen! Wir brauchen eure Hilfe! Unsere Familie und unsere Freunde!
Leider ist es in der Gesellschaft noch immer so, dass durch Ignoranz oder Unwissenheit der Großteil der Bevölkerung sich dem Thema Depression verschließt. Stigmatisierung bis hin zum Mobbing, zur Ausgrenzung, ja sogar bis zum Verstoßen aus der Familie gehören immer noch zur Normalität!
Können Sie sich vorstellen, wie sich das für uns Betroffene anfühlt? Die eigene Familie, Freunde und Bekannten glauben dir nicht! Oder ist das die Angst, die aus Unwissenheit Hilflosigkeit werden lässt? Inzwischen zeigen Studien und unsere Erfahrungen aus Gesprächen mit Angehörigen, dass sehr oft die Angst mitspielt, den Betroffenen noch mehr zu belasten. Schweigen ist keine Lösung.
Wenn Sie ihren an Depression erkrankten Angehörigen oder Freunden wirklich helfen möchten, beginnen Sie damit zuzuhören! Wir suchen Hilfe.
Ich habe die nötige Hilfe und das Verständnis von meiner Familie, meinen Angehörigen und Freunden nicht bekommen. Ich wurde von meiner Familie alleingelassen worden. Tut weh, aber ich werde es trotzdem schaffen. Ich werde immer noch ignoriert oder gemieden, wie ein Aussätziger!
Stimmt nicht ganz, denn ein Freund aus Kaltenkirchen und ein Freund aus Gotha haben mir zugehört und mir damit einen Weg eröffnet, mich der Krankheit zu stellen! Viele in meinem Umfeld haben mich als asozial, Lügner, Spinner, Alkoholiker und sonstiges abgestempelt und machen es teilweise heute noch. Eigentlich tun sie mir leid und ich hoffe, dass Sie niemals so erkranken.
Jetzt bin ich selbst Genesungsbegleiter und helfe anderen Betroffenen einen Weg aus der Krise zu finden und zu gehen. Jetzt bin ich wieder glücklich verheiratet, übrigens mit einer Betroffenen, wie ich es bin. Sie hat mir auf dem Weg aus der Krise geholfen und hilft mir immer noch dabei.
Es gibt inzwischen deutschlandweit Hilfe für Angehörige, die ihren Betroffenen helfen möchten. Unwissenheit ist heute keine Rechtfertigung mehr dafür, nicht zu helfen!
Ich habe mir Hilfe bei den Profis geholt – in der Tagesklinik, bei Psychologen und bei einer Genesungsbegleiterin aus der Tagesklinik. Diese Hilfe ist unumgänglich. Hilfe, die ich mir von meiner Familie gewünscht hätte.
Hilfe, die sich viele Betroffene von Familie, Angehörigen und Freunden wünschen.