Mein Abc der Genesungsbegleitung Teil 9 – I, wie Ich

In diesem Teil musste ich überhaupt nicht überlegen, welchen Begriff, welches Wort, welche Verbindung ich zur Genesungsbegleitung nehmen würde. Es geht um das ICH! Es gibt nichts Wichtigeres in der Aufarbeitung der Krise als Denjenigen, der diese Veränderung möchte. Ich bin mir wichtig! Diese Aussage ist eine Grundlage, um einen Weg aus einer Krise zu schaffen. Wenn ich einmal auf die wesentlichsten Symptome einer Depression schaue, fällt mir auf, das neben der gedrückten Stimmung ein dauerhaftes, tiefes Erschöpfungsgefühl und das völlige Fehlen von Freude und Interesse an der Welt zu den Hauptsymptomen dazu gehören. Fast immer bestehen hartnäckige Schlafstörungen und ein verminderter Appetit, der oft mit Gewichtsverlust einhergeht. Klingt nach dem, was ich hatte.

Es geht also um mich, wenn ich aus der Krise kommen möchte. Das klingt jetzt aber sehr egoistisch meinen Sie? Ja klar, ein gesunder Egoismus ist wichtig. In den 50 Jahren meiner unerkannten Depression, hatte ich viele dieser Symptome. Ich habe sie mitgeschleppt, mitgeschleppt durch mein Leben. Einer meiner Grundeinstellungen war, dass ich jedem helfen möchte, selbst wenn es mir dabei schlecht geht. Selbst, wenn ich weit über meine psychischen und physischen Kräfte hinausgegangen bin. Hatte ich damals an mich gedacht, an mein Wohl? Hatten andere Menschen in meinem Umkreis an mich gedacht? Nein, es war eben einfach selbstverständlich, dass ich helfe.

Es war aber eben auch selbstverständlich, dass andere Menschen nicht an mich gedacht haben. Sie hatten solange ihren Nutzen, wie ich für sie funktioniert habe, danach nicht mehr. Ich dachte es wären Freunde, dachte ich wirklich. Sie wohl nicht, denn als ich Hilfe brauchte waren sie nicht mehr da. Das klingt jetzt aber sehr verbittert meinen sie? Hm… verbittert nein, eher traurig. Aus heutiger Sicht eher traurig darüber, dass niemand da war, der mir sagte: „Hör auf damit und achte auf Dich!“. Aber wollte ich das überhaupt hören? Natürlich nicht, denn ich war süchtig nach Anerkennung, nach einem Danke, nach einem kurzen Dazugehören. Dabei habe ich nicht an mich gedacht. Anschließend war ich sauer auf mich. Sauer, weil ich fertig war, gesundheitlich und nervlich am Boden. Erst als ich so weit am Boden war, dass nichts mehr ging, hörte ich auf …. musste ich aufhören. Da merkte ich, wie allein ich wirklich war. Es war der Moment gekommen, egoistisch zu sein, mal nur an mich zu denken. Entscheidungen zu treffen, die nur mich weiterbrachten. Meine erste Entscheidung für mich war, dass ich mir Hilfe holte.

Zwei Mal Tagesklinik, Psychologen…. und eine Genesungsbegleiterin. Ich lernte die Welt wieder mit meinen Augen zu sehen, nicht mit denen der anderen, denen ich einen Gefallen tun wollte. Ich erkannte, die Welt kann schön sein, sie ist schön. Achtsamkeit auf mich selbst! Ich saß auf einmal nicht mehr in meiner grauen tristen Welt. Farben die schön waren, die mir ein Lächeln ins Gesicht zauberten bestimmen nun wieder mein Leben. Ich verstecke mich nicht mehr hinter Lügen, Lügen die als Notlüge, als Ausreden begonnen hatten und sich dann ich eine schwere Last umwandelten. Bis ich nicht mehr konnte. Ich habe begriffen, dass ich etwas ändern muss, wenn es mir besser gehen soll. Erst einmal musste ich mich selbst kennenlernen, denn der ich war, wollte ich eigentlich nie sein. Oft wirst Du in Rollen gedrängt, die Du nicht möchtest, spielst sie aber trotzdem mit.

Ich hatte verstanden, dass mir diese Rolle nicht gefällt, nicht guttut, jedoch war es da schon zu spät.Da gab es Menschen, denen es genauso ging wie mir, die ihren Ausweg aus der Krise gefunden haben. Sie haben mir ihre Erfahrungen weitergegeben, vor allen Dingen die Erfahrung, dass ich Hilfe benötige und diese Hilfe auch zulassen muss. Während dieser Selbsterforschung haben ich gelernt Dinge aus meinem Leben neu zu werten. Werten nicht bewerten! Dabei merkte ich, dass ich mir selbst eigentlich nichts mehr wert war. Ich hatte mein Ich aufgegeben. Dabei ist es so wichtig, sich selbst zu achten, sich selbst zu wertschätzen, sich selbst gutzutun. Aus meiner heutigen Erkenntnis gibt es nur einen Weg, sich über die Schulmedizin, Hilfe zur Selbsthilfe zu holen und das Vertrauen in mich neu wiederzufinden. Sich neu zu entdecken und so wieder zum Ich zu finden. Denn ich bin ich und ich habe es verdient, dass es mir gut geht!

Heute gönne ich mich mir! Ich tue mir gut!